Tiefenrausch

Der Tiefenrausch ist bereits so oft beschrieben, daß an dieser Stelle für die Symptome nur ein paar Zeilen genügen sollten. Ähnlich wie beim Alkohol beeinträchtigt der Tiefenrausch die eigene Wahrnehmung und Einschätzungsfähigkeit, Konzentration und Kritikfährigkeit lassen nach, Euphorie und unsinnige Verhaltensweisen können die Folge sein. Manchen Tauchern wird aber auch nur schlecht, sie klagen über Drehschwindel. Ohrensausen oder ein metallischen Geschmack im Mund sind weitere Alarmzeichen für einsetzenden Tiefenrausch.

Ab einer Tiefe von 30 Metern kann der Tiefenrausch einsetzen, je tiefer, desto wahrscheinlicher. Voraussetzungen zum Erlangen des zweifelhaften narkotischen Genusses sind allerdings so vielfältig, daß dieser Faktor mit der Wirkung von LSD verglichen wird, bei dem ebenfalls keiner vorhersagen kann, wie er bei der jeweiligen Person wirkt.
Streß und vermehrte Arbeit unter Wasser, Alkoholgenuss am Vortage, eine Schwächung etwa durch Kreislaufprobleme - die Auslöser sind so unterschiedlich, daß eine Prognose, wann es den Taucher in welcher Tiefe erwischt, nicht zu treffen ist. Immer aber hört der Tiefenrausch auf, wenn die Tauchtiefe verringert wird.
Der Verlust der klaren Urteilskraft unter Wasser verbunden mit körperlichen Einschränkungen ist lebensbedrohlich. Daher sind Tiefengrenzen für Sporttaucher auch so ausgelegt, daß sie vor allem auf die narkotische Wirkung vom Tiefenrausch Rücksicht nehmen und ihn zu vermeiden versuchen.

Was aber löst den Tiefenrausch aus? Theorien gab es viele. Zunächst war der Einfluß von CO² der Schuldige, dann wieder war es eine O²-Vergiftung. Dank neuer Untersuchungsmethoden hat man aber festgestellt, daß die Inertgase die Schuldigen sind. Die was? Die Inertgase. Inert heißt soviel wie unberührbar. Stoffe, die inert genannt werden, verhalten sich zickig. Sie lassen fast nichts an sich heran. Da ihre Neigung zur Verbindung mit anderen Stoffen so gering ist, hat man einer ganzen Gruppe von ihnen den Namen Edelgase gegeben.

Zu den Inertgasen gehören Helium, Neon, Wasserstoff, Argon, Krypton und Xenon. Tja, und wer tummelt sich da noch? Aha, der Stickstoff. Über viele der Namen stolpert man, befaßt man sich mit Medizin. Denn sie sind als Narkosemittel bekannt. Dagegen ist Helium ein bekanntes Ersatzgas, um den Stickstoff aus der Atemluft zu bekommen und richtig tief zu tauchen (in der Druckkammer bis 610 Meter). Stickstoff dagegen ist für Taucher immer wichtig, er ist auch der Übeltäter unter den Inertgasen in Sachen Tiefenrausch.

Was aber läßt Inertgase narkotisch, also betäubend wirken? Inertgase lassen sich in fetthaltigen Lösungen verbinden. Heißt in normaler Sprache: Sie fühlen sich da wohl, wo sie auf Fett stoßen. In der Sprache der Mediziner heißen Fette Lipoide. Eine besonders heikle Stelle in unserem Gesamtkunstwerk Körper sind die Nervenzellen. Das sind Gebilde, die hochspezialisiert sind, Impulse weiterzuleiten. Entweder vom Großen Zeh, wenn's dort zwackt, zum Gehirn, oder andersrum, wenn das Kommando kommt, den Zeh aus der Krebsschere wieder rauszuziehen. Die Arbeitsweise ist hochkompliziert, aber eigentlich einfach erklärt. Das Innere der Nervenzelle interessiert hier überhaupt nicht, wir schauen nur die Zellwände an. Da spielt nämlich die Musik. Ein Impuls wird übertragen als ein elektrischer Impuls. Der startet von einem Kommandogeber, also einer Sinneszelle. Hie entsteht etwa durch das Kneifen der krebsschere auf den Zeh ein Druck, der von einem Drcksensor in elektrische Energie umgewandelt wird. An der Oberfläche der Nervenzelle, die den Impuls aufnimmt, sitzt die lipoide (fett-
haltige) Membran, die jetzt gereizt wird. Sie öffnet und schließt feine Kanäle, aus denen Ionen in die Zelle oder wieder hinausströmen.
Ionen sind Moleküle, die elektrisch aufgeladen sind. Wie beim Staffellauf wird der Impuls über diese Ionen weitergetragen. Noch besser der Vergleich einer La-Ola-Welle im Fußballstadion. Der Trick, diese Reize jetzt zu filtern und nur auf die zu reagieren, die für Sinneswahrnehmungen und Handlungen wichtige sind, ist wirklich kompliziert und steht in Medizinbüchern.

Tip: Sollten sie einmal einen Tiefenrausch erleben, schließen sie die Augen, Ihre Wahrnehmung ist von Null auf annähernd hundert Prozent wieder hergestellt.

Uns reicht aber auch das Wissen, daß die Membran der Nervenzelle durchsetzt ist mit Fettmolekülen, die den Transport von Nervenimpulsen steuern. Greifen an diesen Fettmolekülen, jetzt die Inertgase an, durch erhöhten Druck beim Tieftauchen so richtig unternehmenslustig, dann bringen sie dieses Transportsystem durcheinander. Und damit den ganzen Taucher - der Tiefenrausch ist da.